Die Stadt Glauchau gehörte einst zu den bedeutendsten Textilstädten in Deutschland. Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts wurden hier die ersten mechanischen Webstühle aufgestellt und prägten fortan an über 150 Jahre die Stadtentwicklung. Dutzende Webereien, Färbereien und Spinnereien reihten sich im Stadtgebiet dicht aneinander und sorgten für einen Aufschwung Glauchaus zur Industriestadt. Kleiderstoffe aus Glauchau hatten internationale Absatzmärkte. Zu den markantesten Unternehmen gehörten die Webereien Ernst Seifert sowie Boeßneck & Meyer.

 

 

Industriequartier Glauchau-Scherberg

 

Der sogenannte Scherberg nördlich der Innenstadt von Glauchau war lange nicht besiedelt und bebaut wurden. Bis in das 19. Jahrhundert rein diente er als Ackerfläche, da auch durch seine Lager und der geografischen Trennung vom Stadtkern lange isoliert war. 1858 kommt das erste Mal Bewegung in den Stadtausbau, als Glauchau Anschluss an die Eisenbahnlinie nach Dresden bekam und ein neuer Bahnhof zu Füßen des Scherberges errichtet wurde. Die Erschließung an die Innenstadt erfolgte dabei noch am Berg entlang über die Leipziger Platz. Mit den Aufbau der städtischen Schlachthöfe bekam auch Glauchau 1896 einen eigenen Schlachthof. Er wurde der Seuchengefahr entsprechend möglichst weit entfernt von bewohnten Gebiet gebaut, dazu wählte man einen Platz auf dem Scherberg, zur Versorgung entstand die erste Straße in Richtung Stadt Glauchau. Doch als um 1900 die Fabriken in Glauchau nach neuen Flächen suchen und die Unterstadt aus ihren Nähten platzt, bietet sich der Scherberg als Siedlungsfläche an.  Zur Versorgung wird 1909 ein neues Elektrizitätswerk am Schlachthof in Betrieb genommen. Nach dem Ersten Weltkrieg erfolgt die Umgestaltung des Bahnhof auf moderne Ansprüche. Kurz darauf für der Scherbergplatz erschlossen und gestaltet. Zur direkten Verbindung zwischen Innenstadt und Bahnhof entsteht 1923 die Scherbergbrücke, über welche heute die Otto-Schimmel-Straße führt. 1926 enstehen an jener Straße die neunen Wohnhäuser, parallel dazu auf der gegenüberliegenden Straßenseite die Webereien Ernst Seifert sowie Boeßneck & Meyer. 1928 siedelt auch die städtische Feuerwehr an die Schlachthofstraße über. Bis 1940 füllen sich die Restflächen mit weiteren Fabriken sowie dem Finanzamt und der Überlandwerke AG Glauchau am Scherbergplatz. 

 

 

 Mechanische Weberei Ernst Seifert

 

Firmengründer Ernst Seifert hat in seiner Karriere einen Weg hingelegt, den damals viele als "The german dream" bezeichneten, vom armen Jungen zu einen der einflussreichsten Webwarenfabrikanten im Glauchau-Meeraner-Revier. So stammte Ernst Seifert eigentlich aus einer armen Weberfamilie aus Mülsen bei Zwickau. Mit dem Ende des 1. Weltkrieges zieht es ihn in das florierende Glauchau mit dem Traum des großen sozialen Aufstiegs. Am Leipziger Platz bezieht er 1920 eine kleine Wohnung und baut im selbigen Haus unter der "Ernst Seifert GmbH" seine erste eigene Weberei auf, nachdem er zuvor seinen Direktorenposten in der Weberei "Tasch’s Nachf." in Glauchau aufgab. Das Unternehmen fällt auf nährhaften Boden und wächst rasant, so dass kurze Zeit später sich Ernst Seifert nach neuen Grundstücken umsehen muss. Auf dem nahen Scherberg wird er fündig und gründet hier 1922 ein neues Werk. Neben einer neuen Webhalle mit flachen Kopfbau entsteht hier auch seine eigene Wohnvilla. Die Weberei krönte er 1928 mit dem finalen Verwaltungsbau als Lückenschluss zur damaligen Scherbergstraße (heutige Otto-Schimmel-Straße). Der eindrucksvolle Neoklassizistische Bau wird entworfen vom nicht unbekannten Architekten Reinhold Ulrich. Prägend sind ist sehr bildliche Sprache der Fassade mit Motiven der internationalen Beziehungen der Firma Seifert. Kernprodukt waren vorwiegend Damenkleiderstoffe aus Wolle und Seide, gewebt auf zirka 500 Webstühlen. In der Phase der Weltwirtschaftskrise übernahm er kurzzeitig die Weberei Thalmann & Co. aus Gera, bevor er sie 1932 wieder abstieß. Das Ende für Ernst Seifert kam nach dem 2. Weltkrieg.

Nach dem 2. Weltkrieg überschlugen sich die Ereignisse. 1946 wurde das Unternehmen sequestriert, Ernst Seifert floh in der Folge 1948 mit seiner Familie nach Westdeutschland. Das Familienvermögen wurde 1949 endgültig enteignet und die Weberei 1951 an den VVB Wollen- und Seidenwebereien II Glauchau angegliedert. Zum 1. Januar 1952 in Volkseigentum überführt. Um die bauliche Zusammenhänge zu optimieren gründete sich zum 1. Januar 1952 der VEB Textilwerke „Einheit“ Glauchau mit der benachbarten Weberei Boeßneck & Meyer.

 

 

Weberei Boeßneck & Meyer mit dem Hotel Glauchauer Hof vom Otto-Schimmel-Platz aus. (ca. 1928)
Weberei Boeßneck & Meyer mit dem Hotel Glauchauer Hof vom Otto-Schimmel-Platz aus. (ca. 1928)

Mechanische Weberei Boeßneck & Meyer

 

Im Gegensatz zur benachbarten Weberei Seifert war das Unternehmen Boeßneck & Meyer ein Zusammenschluss zwei Unternehmer, welche sich bereits in Glauchau profiliert haben. 1886 gründet man in der Karlstraße eine Kontor unter dem Namen Boeßneck & Meyer, die Produktion der Webwaren erfolgte allerdings noch auf Lohnarbeit. Um die Qualität zu erhöhen und die Fertigung zu zentralisieren beginnt man 1924 mit dem Bau einer eigenen Weberei auf dem Scherberg, direkt gegenüber vom berühmten Hotel Glauchauer Hof. Abschluss ist der 1927 Eckgebäude mit dem Verwaltungs- und Kontorräumen. Architekt für den neobarocken Bau war Adolf Krebs.

Kopf der Firma ist Rudolf Franz, welcher die Weberei zu eine der bedeutendsten Webereiunternehmen im westsächsischen Textilrevier führt. Doch im 2. Weltkrieg fehlten die Heeresaufträge und drohte die Zwangsstilllegung des Werkes. 1944 gab es dazu Verhandlungen zwischen der Firma Boeßneck & Meyer sowie den Junkers-Werken Dessau zu Einrichtung einer Teilemontage für Bomberflugzeuge aus der Flugzeugwerft Leipzig. Diese starke Machtausdehnung sowie eine Eingliederung in Militärstrukturen führten zur Enteignung des Unternehmens im Jahr 1948. Die Weberei wird ebenfalls 1951 an den VVB Wollen- und Seidenwebereien II Glauchau angegliedert und firmiert 1952 mit der Weberei Seifert zum VEB Textilwerke „Einheit“ Glauchau.

 

 

VEB Textilwerke „Palla“ Glauchau

 

Die historische Basis für den heute als Palla bekannten Standort an der Otto-Schimmel-Straße in Glauchau bildete der VEB Textilwerke „Einheit“. Dieser volkseigene Betrieb war ein Zusammenschluss der Webereien Ernst Seifert, Boessneck & Meyer sowie weiteren bereits verstaatlichen Betrieben wie dem VEB „Falter“ Buntweberei und dem VEB Silka Seidenweberei Glauchau. Die „Einheit“ war damit ein erster großer Zusammenschluss der Webereibetriebe im Glauchauer Stadtgebiet und der Weg hin zur Zentralisierung und Optimierung der Fertigung. Mit dem Beginn der 1970er Jahre fokussierte die DDR- Industrieministerien die Zusammenlegung der noch sehr zerstückelten volkseigenen Betriebe zu international konkurrenzfähigen Großbetrieben. Da besonders das Webereiquartier von Glauchau-Meerane im Fertigungsprodukt eine Homogenität aufwiesen, gründete sich zum 1. April 1970 der Großbetrieb VEB Textilwerke „Palla“ Glauchau. Er war ein Zusammenschluss von 6 Hauptwerken, darunter der VEB Textilwerke „Einheit“ Glauchau und der VEB „Palla“ Wollen- und Seidenwebereien Meerane und 18 Werksbereichen, eine Betriebsberufsschule sowie Industrieläden. Das Stammwerk des VEB lag in den ehemaligen Webereien Seifert sowie Boeßneck & Meyer. Bereits in dieser Stellung war die „Palla“ noch vor Gründung der späteren Großtextilfabriken in der DDR ein Schwergewicht im  Leichtindustriesektor. Dieser Einfluss wuchs mit der Gründung des VEB Kombinat „Wolle & Seide“ Meerane 1979, als zentrale Verwaltungsebene über fast allen Stoffwebereien in der DDR. Innerhalb des Kombinates fungierte der VEB „Palla“ ab 1984 als Stammbetrieb und war damit auch in einer Stellung direkterer Subventionen. Parallel wuchs auch die Betriebsgröße mit der Anschließung weiterer Werke. In seiner Endgröße gehörte die „Palla“ zu den größten Betrieben der Leichtindustrie im Industrieland DDR. Die enorme Größe des Betriebes machte seine Privatisierung nach dem Zusammenbruch der DDR und der Einführung der Marktwirtschaft umso schwieriger. 1990 wird die Textilwerke Palla GmbH als Rechtsnachfolger eingetragen. Nicht finanzierbares Betriebseigentum wie Kulturhaus, Berufsschule und Kindergarten wurden abgestoßen, die einzelnen Werke innerhalb weniger Monate stillgelegt. Es blieb ein betriebswirtschaftlicher Kern im ehemaligen Hauptwerk. Doch die alten Bauwerke aus den 1920er konnten den modernen Textilfertigungsprozessen nicht mehr gerecht werden und so entschloss man sich zum Neubau einer neuen Weberei in St. Egidien auf dem Grundstück der ehemaligen Nickelhütte. Zum Jahr 1998 folgt der schrittweise Umzug der Palla Creativ GmbH und damit auch die Aufgabe des Altstandort an der Otto-Schimmel-Straße in Glauchau. 2008 folgte der Abriss der rückwertigen Produktionshallen.

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