Warum sollte man Fabrikgebäude erhalten? Was macht den Industriebau so besonders? Gibt es alternative Nutzungskonzepte? Um diese Fragen zu beantworten und die Bedeutung der Industriearchitektur für die städtebauliche Landschaft einschätzen zu können, muss man die industrielle Problematik etwas tiefer analysieren. Die Revitalisierung von brachliegenden Industrieflächen und -gebäuden ist in der heutigen Zeit, gerade in den alten Industrieregionen von Sachsen und dem Magdeburger Land, ein viel diskutiertes Thema. Der Inhalt und die Auseinandersetzung mit diesem Schwerpunkt der deutschen Architekturlandschaft spaltet die Menschen, ob Investoren, Denkmalschutz, Politiker oder Anwohner, so jeder hat seine eigenen Vorstellungen, wie mit einer Industrieruine umgegangen werden soll. Fest steht allerdings, dass hinter jedem Gebäude und jeder Liegenschaft ein besonders wertvolles Gut steckt, welches mindestens so viel Wert hat, dass sich die Menschen mit ihnen auseinander setzen müssen.
Ursachen
Um neue Nutzungskonzepte und den aktuellen Bestand überhaupt entwickeln zu können, muss man die Geschichte hinter den Gebäuden verstehen, denn ein guter Satz besagt bekanntlich: "Wer Zukunft
gestalten will, der sollte seine Herkunft gut kennen." Doch wie kommt es überhaupt zu einen so enormen Leerstand an Industriebauwerken in der Osthälfte von Deutschland? Warum sind gerade in
diesen Regionen prachtvolle Industriebauwerke so weit verbreitet?
Es sind besonders die kräftigen Mittelgebirgsflüsse und eine industriefreundliche Staatsregierung, warum gerade Sachsen zu den Keimzellen der deutschen Industrialisierung zählt. Ab dem Ende des
18. Jahrhunderts werden im Erzgebirge die ersten mechanischen Spinnereien gebaut und bilden den Grundstein für die industrie-technische Revolution des Gewerbes. Nach und nach werden
unterschiedlichste Handwerke in massenproduzierende Fabriken umgewandelt. Die Industrialisierung zieht sich in den folgenden 150 Jahren durch alle Bereiche und bewirkt eine enorme
technische Entwicklung von Gesellschaft und den menschlichen Lebensräumen. Mit der historischen Grenze des Zweiten Weltkrieges gehört Sachsen, als Beispiel herausgenommen, zu den wichtigsten
Industrieregionen in Europa. Unzählige Unternehmen haben es hier zu Weltruhm geschafft und versorgen mit ihren Waren einen riesigen Markt. Dieser Punkt des architektonischen Bestandes entspricht
in etwa der heutigen Substanz an Industrieliegenschaften.
Der markante Unterschied zwischen der DDR-Industrieentwicklung und dem westlichen industriellen Wachstum, ist die Weiternutzung des bautechnischen Altbestandes. Der DDR-Wirtschaftsführung fehlt es seit Beginn der sozialistischen Ära an den nötigen finanziellen Möglichkeiten, um die eigene heimische Industrie mit modernen Standards auszubauen. Spätestens seit den 1960er Jahren und der Umstrukturierung des DDR-Haushaltes durch den verschärften Kalten Krieg, fehlen die Mittel um die vorhanden Industriebauwerke den wachsenden Anforderungen anzupassen. Gerade in bereits schon benachteiligten Industriezweigen wie der Textilindustrie, gerade in Sachsen sehr heimisch, wirkt sich das sehr negativ auf die Gebäudesubstanz aus. Die Altbauten, meist um die Jahrhundertwende erbaut, werden konsequent weitergenutzt, zum Leid der Produktionseffektivität und der Gebäudesubstanz. Nur punktuell entstehen in besonders geförderten Betrieben oder Technologiezweigen eine Erneuerung der Industriebauwerke, dabei handelt es sich aber vorwiegend um metallverarbeitende Betriebseinrichtungen und prestigewichtige Produktionszweige, wie zum Beispiel die Mikroelektronik. Spätestens seit dem 1980er Jahren und der enormen Verschuldung der DDR lässt aber auch dieser Ausbau stark nach. Bis zum Zeitpunkt der Deutschen Wiedervereinigung kommt der Investitionsfluss fast komplett zum Erliegen, einzig in einigen wenigen Ausnahmen werden mit der Hilfe von westlichen Unternehmen, genannt sei hier der VEB Sachsenring Zwickau, neue Bauprojekte angegangen.
Mit der Auflösung der DDR und den Übergang der ostdeutschen Strukturen in die BRD übernimmt die Treuhand-Anstalt Berlin die ostdeutschen Unternehmen und entscheidet über deren weitere Zukunft. Eine Zahl von 12.000 Betrieben wird hier immer erwähnt. Der beachtlich große Teil wird dabei von der Treuhand in die Liquidation getrieben, ob zu Unrecht, das soll hier nicht diskutiert werden. Neben dem flächendeckenden Sterben der Unternehmen, sterben meist auch ihre industriellen Gebäude mit. Eine neue Nutzung ist meist in einer Zeit des Umbruches nicht zu finden und damit schiebt man das Problem auf Halde. Es entsteht ein noch bis heute beachtlich hohes Spektrum an verlassenen und verfallenen Fabrikgebäuden über die gesamte Fläche der ehemaligen DDR verteilt. In der sozialistischen Ära nur wenig durch Neubauten verändert, handelt es sich von der Substanz vorwiegend um Bauwerke der Hochindustrialisierung um das Jahr 1900 herum. Es sind die Ruinen einer der ehemals größten Industrieregionen in Europa.
Architektur
Rein objektiv betrachtet ist die Industriearchitektur sehr einheitlich und bietet wenig Spielraum zu etwas Aussergewöhnlichen. Doch wie das so oft im Gebiet der gesellschaftlichen Kunst ist, so muss man in der Industriearchitektur auch den zweiten Blick wagen, um ihren kompletten Inhalt zu erkennen. Historisch betrachtet zeichnet die Formensprache von Fabriken immer eine sehr hohe zeitmoderne Gestaltung aus. Begründet liegt dieses Phänomen in dem stilistischen Sinnbild eines Produktionsgebäudes vor dem 1970er Jahren. Vor diesen Sprung in die heutige Moderne stellt das Fabrikgebäude eines Unternehmens das Aushängeschild dar. Die Architektur und die zeitliche Aktualität des Baustiles prägen nicht nur das Gebäude, sondern zeigen äußeren fremden Betrachter den Entwicklungsstand und den Erfolg eines Unternehmens. Eine moderne Fabrik steht damit auch für ein modernes Unternehmen. In einer Zeit, in der gerade die regionale Konkurrenz enorm groß ist, ist es ein entscheidendes Merkmal im Werben um neue Kunden. Besonders deutlich wird dieser Sinn der Selbstdarstellung in der lithografierten Darstellung der eigenen Fabrik als Briefkopf von Rechnungen und auswärtigen Schreiben. Das Fabrikgebäude, welches eigentlich nur eine reine Produktionsbedeutung hat, wird damit nach Außen zum Vorzeigeobjekt. Diesen Umstand ist die enorme künstlerische Vielfältigkeit in der Industriearchitektur zur verdanken. Der Fabrikant, welcher als Bauherr eines neuen Fabrikgebäude hervor tritt, ist dabei mit Einwirken des Architekten stets bemüht eine aktuelle Formensprache in seiner Fabrik zu verwirklichen.
So entstehen im späten Deutschen Kaiserreich sehr schmuckvolle ornamierte Gebäudeformen, während in den 1920er Jahren zunehmenden sich die "Neue Sachlichkeit" und das Wirken des Bauhauses in der Industriearchitektur durchsetzt. Den Abschluss findet dieser Prozess in den sehr bildlichen Darstellungen während der NS-Diktatur und in der Frühphase der aufwachsenden DDR. Erst mit den 1970er Jahren und der sehr rationalen und rasterförmigen Bauentwicklung verliert das Fabrikbauwerk als Ausdrucksmittel vollkommen an Bedeutung. Der Kapitalismus hat auch den Sozialismus erreicht, nur bleibt er unter dem Mantel des Kunstwortes "Moderne". Es gibt wohl kaum einen anderen Gebäudetypus, welcher in den letzten 200 Jahren so viele verschiedene Stilrichtungen der Architektur miterlebt hat und diese unterschiedlichsten Epochen noch bis heute aufzeigt. Jede Fabrik ist damit ein Gang durch die Geschichte, ein Zeugnis von Kunst, wie ein Gemälde von Picasso oder van Gogh.
Historisches Kulturgut
Eine Fabrik ist nie nur eine Fabrik, zu einem Industriegebäude gehört meist noch wesentlich mehr als die reine, der Produktion zugeordnete, Gebäudehülle. So zählen neben den Innerbetrieblichen Strukturen, wie Verwaltung und Versorgung, auch die Elemente hinzu, mit welchen das Unternehmen nach Außen die Gesellschaft geprägt hat. Dies kann vor allem eine soziale Infrastruktur sein, Arbeitersiedlungen, Kindergärten und Kultureinrichtungen. Ein Unternehmen mit seinen Gebäuden hat damit nie nur für sich den höchsten Gewinn erwirtschaftet, sondern es hat Menschen eine Lebensgrundlage gegeben und mit ihren Abgaben auch komplette Gemeinden zu finanziellen Wohlstand verholfen. Gerade in kleineren Gemeindestrukturen, wie besonders den Dörfern des Erzgebirges, stellt eine Fabrik mit seinem Unternehmen sehr oft den Mittelpunkt des Ortes da. Man kann hierbei regelrecht von den "industriellen Herzen" einer Gemeinde reden. Über 150 Jahren lang prägt damit das Fabrikgebäude nicht nur die Ansichten eines Ortes, es prägt auch die Menschen und ihre interkulturelle Beziehungen mit der großen weiten Welt. Das Gebäude ist in dieser Zeitspanne genauso mit dem Ort verwachsen, wie die Dorfkirche oder die Dorfschule. Ähnliche Strukturen zeigen sich auch in den Großstädten, hier sind es meist die Großunternehmen, welche ein komplettes Stadtviertel mit Arbeit versorgen, wer denkt bei Leipzig-Gohlis nicht an die Bleichert-Werke oder bei Magdeburg-Buchau an die Grusen-Werke. Die Unternehmen sind mit ihrer Region verwachsen, denn sie brauchen die umliegenden gesellschaftlichen Strukturen und diese brauchen die Unternehmen. Mit dieser Grundlage bildet jede Fabrik immer ein Stück Kulturgut einer Gemeinde, es erzählt die regionale Geschichte vom Aufstieg und Fall des Industriezeitalters.
Es sind wohl diese historisch gewachsenen Strukturen, weshalb man ein Industriedenkmal nicht aus seinem umliegenden Bestand herausnehmen sollte und durch grüne Wiesen ersetzen sollte. Das Bestreben liegt darin verankert, jedes Kulturgut, dazu gehören Fabrikbauwerke ohne Zweifel, für die Nachwelt historisch original zu erhalten. Diese Bauwerke sind Zeugnisse der technischen Leistungen unserer eigenen Vorfahren. Bereits in den letzten Jahrzehnten gab es im Bereich der Industriedenkmäler mehr Schwund, als durch beide Weltkriege verursacht wurde. Aus diesem Grund ist ihr Bestand auch weiterhin stark gefährdet. Selbst ein begründeter Denkmalschutz hat so einigen Objekten nicht das Überleben gesichert. Durch Schwarzabriss und geschickte Bürokratie lassen sich derartige staatliche Schutzmaßnahmen geschickt umgehen. Doch was bringt ein Denkmalschutz, wenn er keine Denkmäler schützt? Welches Erbe hinterlassen wir den nachkommenden Generationen, wenn wir ihrer Heimat die Identität und Geschichte rauben. Aus diesen Grund muss sowohl von staatlicher Seite, als auch von privater Seite, das höhst Möglichste dafür eingesetzt werden, um Industriedenkmäler als Kulturgüter zu erhalten und einer sinnvollen Nutzung zu überführen, denn nur durch Sanierung und Nutzung ist ein langlebiger Erhalt gesichert.
Mögliche Nutzungskonzepte
Es sollte sowohl im Interesse der Gemeinden und Kommunen, als auch der Besitzer und Investoren liegen, für ein Industriegebäude neue Nutzungskonzepte und Revitalisierungspläne zu erarbeiten. Die Nachnutzung von Fabriken ist eine Aufgabe von allen Institutionen und kann nur im gemeinsamen Verbund gelöst werden. Doch was macht den Industriebau gerade für eine neue Nutzung so interessant? Neben der oft auch sehr historischen Vorgeschichte der Objekte, besitzen Fabrikgebäude gegenüber anderer Bauwerke einige Bautechnische Vorteile. Besonders die Bauwerke ab dem Baujahr 1890 zeichnen sich durch eine besonders einheitliche, aber auch konstruktiv hochwertige Konstruktion aus. So besitzen Produktionsgebäude ab diesem Zeitalter keine tragenden Wände. Die komplette Etagenkonstruktion ruht auf einer Säulenstruktur mit Zwischendecken aus Beton, später Stahlbeton. Die Fassade ist dabei oftmals eine Fachwerkfüllung zwischen den Säulenraster. Für eine Neunutzung der Etagenfläche steht damit eine besonders hohe individuelle Entfaltungsmöglichkeit zur Verfügung, neue Wände können beliebig gesetzt werden, ohne dabei die statische Konstruktion des Bauwerkes zu gefährden. Hinzu kommen besonders ab dem Baujahr 1870 eine besonders große lichtdurchflutete Fensterfläche, welche das Lebensklima im Raum merklich positiv beeinflusst. Moderne Fensterlösungen mit den Erhalt der historischen Fenstersprossen und dem Einbringen von, in der Fensterlaibung zurückgesetzten, neuen Fenster haben gezeigt, dass eine klimafreundliche Fenstersanierung auch im Einklang mit dem Denkmalschutz gehen kann. Der noch immer oft zu hörende Nachteil der hohen Decken einer Fabrikhalle, lässt sich in der heutigen Zeit bereits mit modernen Heiztechniken, fernab der üblichen Raumluftheizung, ohne besonderen Mehraufwand kompensieren. Dabei fließen besonders Erfahrungen aus dem Kirchenbau mit ein. Im Thema der Energiegewinnung bieten Fabrikgebäude eine sehr große attraktive Dachfläche, diese benötigt zwar einen hohen Sanierungsaufwand aufgrund der Fläche, aber dafür stellt sie auch genügend Platz für waagerechte Photovoltaik zur Verfügung, welche durch ihren Energiegewinn nicht nur der Umwelt etwas gutes tun, sondern auch Investitionskosten zurück erwirtschaften. Bautechnisch betrachtet ist es in der heutigen Zeit kein Problem mehr ein bestandsgeschütztes Industriebauwerk nach modernen und EU-Normengerechten Grundlagen zu sanieren und durch eine Nutzung zu erhalten, der Fortlauf der Technik bietet dabei immer mehr Möglichkeiten.
Bautechnisch betrachtet stellen Fabriken keine Hürden mehr da. Aber auch dem eigentlichen Nutzungskonzept sind keine Grenzen gesetzt. Eine ursprüngliche Verwendung, unter welcher die Gebäude einst erst entstanden, der Produktion durch Industrie, ist heute fast unmöglich. Zu zentral liegen die Gebäude heute in den Städten und zu wenig Platz bieten sehr häufig die umliegenden Grundstücke für einen möglichen Erweiterungspuffer. Dennoch sind die Möglichkeiten einer anderweitigen Nutzung fast unbegrenzt. Sowohl als Gewerbefläche oder auch als Wohnfläche. Durch die großzügige Raumgestaltung können sowohl Luxuslofts entstehen, als auch preiswerte Wohnräume für Künstler und Studenten. Doch neben den Wohnräumen bieten die Gebäude auch alle Möglichkeiten für den Dienstleistungssektor, ob als Nutzung für ein Seniorenheim, Behindertenwerkstatt oder für Bürokomplexe. Große und helle Räume fördern das Wohn- und Arbeitsklima. Doch das Ziel ist es über diese Konzepte weiter zu denken. Gerade die Verwendung durch Kommunen werden aktuell zu selten in Betracht gezogen, so können die Gebäude sowohl Verwaltungsorange aufnehmen, als auch öffentliche Einrichtungen. Gerade in Innenstadtnähe ist sogar eine Verwendung als Parkhaus denkbar, möglich machen es die meist hoch ausgelegten Deckenlasten. Wo hören da Ideen und Visionen auf? Besonders mit Sicht auf die Industriekultur jenseits der Großstädte muss dahingehend in Zukunft noch weiter diskutiert werden. In welcher Form ist es möglich Fabrikgebäude gerade im ländlichen Raum zu erhalten und in die Gemeindestruktur unter neuer Verwendung mit einzubeziehen. Warum müssen Discounter immer ihre Standardgebäude in die Dörfer setzen? Warum können sie nicht vorhandene Liegenschaften nutzen? Das sind Beispielsfragen, welche es in diesem Zusammenhang zu diskutieren gibt.
Doch es lässt sich sagen, man darf Industriegebäude nicht als Last sehen, sondern als Chance. Sie sind ein Kulturgut, genauso wie ein Schloss oder eine Kirche. Aus diesem Grund bedarf es unserer Fürsorge und den Mut den Erhalt zu wagen. Wenn Investoren und Gemeinde sowie Bauplanung und Denkmalschutz dabei Hand in Hand gehen, dann ist diese Aufgabe lösbar. Dabei sollte man immer beachten, lieber man restauriert eine Tür weniger, aber erhält dafür das Gebäude durch eine Sanierung. Der Verfall oder Abriss bringt niemanden etwas. Entscheidend für den Erhalt von Industriekultur, ist aber auch, dass der Staat dabei unterstützend einwirkt, dabei ist nicht nur eine Landesregierung gefragt, sondern auch eine höhere Institution, denn es kann nicht sein, dass ein Abriss von Kulturgut mehr durch den Staat gefördert wird, als eine denkmalgerechte Sanierung und den Erhalt von dessen. Gerade der Osten von Deutschland hat seit dem Jahr 1990 enorm viel an historischer Gebäudesubstanz durch wilden Abriss verloren, dazu zählen nicht nur Fabrikgebäude, auch historische Altstädte und Sozialgebäude.
Doch wer Zukunft gestalten will, der sollte seine Herkunft gut kennen! Industriedenkmäler gehören dazu.